Exkursionsbericht vom 03.11.2023: Wien, Hofjagd- und Rüstkammer, Spanische Hofreitschule
Zusammen mit einer kleinen, aber feinen Truppe aus Reitkunstinteressierten machten wir am 03. November Wien unsicher. Mein guter Freund und Kollege Peter Spätling hatte das Ganze organisiert und sich sogar um einen Termin für unsere Gruppe in der Hofjagd- und Rüstkammer gekümmert. Zwei Restauratorinnen zeigten uns Unikate der Reitgeschichte, die nicht Teil der Ausstellung sind - vorrangig Steigbügel und Sporen aller verschiedenster Art. Zwar gab es keine Pferdegebisse zu bestaunen, auf die es ja vor allem Fred immer besonders abgesehen hat, aber das war verschmerzbar - Da müssen wir wohl leider nochmal hin.
In der Ausstellung selbst sahen wir Sachen, von denen ich zwar wusste, dass es sie gibt, aber es war doch beeindruckend, die Dinge dann auch tatsächlich zu sehen: Lanzen so hoch und dick wie mittelgroße Bäume, Rüstungen aus verschiedenen Epochen mit ganz unterschiedlichem Design, Waffen, Schilde, Pferderüstungen, Sättel und andere Ausrüstungsgegenstände... Wahnsinn, diese Technik dahinter, dieses Knowhow, diese Handwerkskunst!
Am meisten beeindruckt haben mich die Installationen von zwei Pferden in einer speziellen Gestech-Variante, die wir auch im berühmten Freydal sehen können: Die Pferde laufen dabei blind, ohne Palia (oder Tilt genannt, gemeint ist die Holzbarriere beim Tjost) und mit einem Stechsack (mit Stroh gefüllter Stoffsack, geformt wie ein Croissant) vor der Brust aufeinander zu, Kollision nicht ausgeschlossen. So gern ich auch selbst beim Reenactment mitmische, aber das möchte ich dann doch nicht austesten.
Der Besuch in der Hofjagd- und Rüstkammer war der Hauptgrund für unseren Besuch in Wien und ein echtes Erlebnis. Wenn ihr mal in Wien seid, schaut es euch an, nehmt euch ein wenig Zeit und lasst es zu, dass man euch von ein paar falschen Klischees des "ach-so-dunklen" Mittelalters befreit. Die Ausstellungstafeln klären nämlich erstaunlich gut über den Kontext und die wissenschaftlich gesicherte Verwendung verschiedener Ausstellungsstücke auf - zumindest was Waffen und Rüstungen angeht. Beim Pferdezeug bin ich es ja mittlerweile gewohnt, dass dort falsche Dinge behauptet werden, weil es die Kuratoren einfach nicht besser wissen, weil sie selbst seltenst Pferdeleute sind, geschweige denn Ahnung von historischer Reiterei in der Praxis hätten. Böse brutale Kandaren, konnten alle nicht nett mit dem Pferd sein, immer brutal, Pferde immer blutig geritten, Empathie für Tiere gab es ja nicht... Ja klar... Da muss man in den kommenden Jahren einfach noch mehr für Aufklärung und Forschung sorgen, ohne dabei das Mittelalter zu romantisieren. War auch nicht alles gut, aber eben auch nicht alles schlecht.
Naja, und dann gab es da den Besuch des Morgentrainings der Spanischen Hofreitschule. Wir wollten es uns einfach mal möglichst unvoreingenommen mit eigenen Augen anschauen, wo doch diese Institution in den letzten Jahren stark an Image verloren hat. Zurecht? Man kennt es ja, die Leute, die am wenigsten Ahnung haben, (ver-)urteilen immer am schnellsten und lautesten, und der durchschnittliche Reiter in modernen Reitsportanlagen weiß in der Regel gar nicht, was er da sieht, weil schon ein Schulterherein als Hohe Schule betrachtet wird.
Ich kann soviel sagen: Eine einzige Reiterin (ja, es dürfen seit ein paar Jahren auch Frauen dort arbeiten) hat mir gefallen. Nur bei ihr fand ich in Ansätzen das vor, was ich mir von einer so traditionsreichen Institution erwarte. Groß und laut wird dort in angeblich ungebrochener Tradition seit über 400 Jahren Reitkunst gelebt und gelehrt - Darauf ist man stolz, damit macht man Werbung und das wiederholt die Erklär-Stimme während des Reitens auch mehrfach.
Was wir hörten stand dem, was wir dort unten auf dem Reitboden sahen, in beinahe komischem Widerspruch gegenüber: Wir sahen Riegeln, Reiten über Tempo, Leichttraben, überstellte Pferde, Strampelpiaffen, eventuelle Satteldruckstellen bei einem Pferd, das am Langzügel vorgestellt wurde, englische Dressursättel, Hannoveranische Reithalfter (also die, die dem Pferd das Maul zuhalten). Am erschreckendsten (weil unerwartet) für mich: ALLE Pferde lagen den Reitern schwer auf der Hand. Das bedeutet, KEINES der Pferde lief, wie es so schön heißt, reel, in Tragkraft, in Aufrichtung, in Selbsthaltung - all diese Sachen, die für mich das A und O der Reiterei darstellen, was den für mich größten Unterschied zur (heute leider) herkömmlichen Reiterei markiert... Fehlanzeige in Wien, was für eine Enttäuschung. Sogar über den omnipräsenten Gebrauch von Wassertrensen und Knebeltrensen kann ich gut hinweg sehen. Die gab es vor 400 Jahren auch schon und die werden von Guérinière auch beschrieben. Was mich stört ist, dass ich ziemlich genau das gesehen habe, was ich auf einem etwas besseren M oder S Dressurturnier erwarten würde - und das hat herzlich wenig mit feinem Reiten in Leichtigkeit zutun.
Freunde, lest die Alten Meister, schaut euch die Stiche an und ihr werdet feststellen: Sowas wie "auf die Hand legen" gab es damals, und man machte sich richtig Kopf darüber, wie man und dass man das Problem behoben bekommt. Newcastle beschreibt es, Galiberto beschreibt es, Guérinière beschreibt es auch: Wenn ein Pferd auf der Hand liegt, ist das Pferd schwach im Rücken oder hat einen Schaden an den Gliedmaßen, respektive Hufen. Je nach Ursache, müssen die Reitkunst oder der Schmied ihr Bestes tun, um Abhilfe zu schaffen -niemals aber würde man diesen Zustand als normal hinnehmen. Auf den alten Kupferstichen sehen wir häufig an angestrebte Ideal: Ein aufgerichtetes, tüchtiges, stolzes Pferd an durchhängenden Zügeln und mit sanften Hilfen geritten.
(Du möchtest mehr dazu wissen, wie zum Beispiel eine leichte Verbindung zum Pferdemaul und eine tänzerische Art der Reiterei erreicht werden können? Christin Krischkes Buch "Du entscheidest - Reiten mit gutem Gewissen" ist sehr lesenswert und aufklärend. Das reicht dir nicht? Melde dich bei mir, falls du Interesse an Unterricht hast, in welcher Form auch immer. Siehe "Dienstleistungen")
Kulturgut Reitkunst? Weltkulturerbe? "Sie ist einer der wichtigsten Orte zur Erhaltung der klassischen Reitkunst" liest man auf Wikipedia über die Spanische Hofreitschule. Nun, unsere Truppe war anderer Meinung, einstimmig. Wer Reitkunst und entsprechende Pflege eines so wertvollen Kulturguts bestaunen möchte, wird unserer Meinung nach leider nicht in Wien fündig, zumindest nicht in der Hofburg.